Charlotte ist im zarten Alter von dreieinhalb Jahren im November 2020 zu uns auf die Wohngruppe gekommen. Da sie noch nicht schulpflichtig war, durfte sie dann erst ein dreiviertel Jahr voller Neugierde die Gruppe erkunden. Das Ausstrecken und Greifen nach Spielzeugen war faszinierend mit anzusehen. Ihre Motivation und Ausdauer waren erstaunlich. Es war klar: Dieses Mädchen hat einen starken Willen. Dieser sollte sie noch durch so
einige Momente ihres Lebens tragen.
Als sie dann im Sommer 2021 zu Frau H. in die Basisstufe kam, fiel sie durch ihre fröhliche und unkomplizierte Art auf. Sie verstand es, sich sowohl auf der Wohngruppe als auch in der Schule für ihre Bedürfnisse stark zu machen, indem sie sich durch Rufen bemerkbar gemacht
hat. Und wurde ihr mal alles zu viel, war sie sich nicht zu schade, mitten am Tag ein Schläfchen zu halten. Eines von vielen Zeichen, dass sie sich im Schul- und Förderzentrum aufgehoben und geborgen gefühlt hat.
Mit zunehmender Mobilität machte sie sich auf, die Welt zu entdecken. Bald robbte sie auf ihrem Hosenboden durch die Gänge und machte die Gegend unsicher. Vor nichts machte sie halt. Spielsachen, Bälle, Schubladen, sogar Haare – alles was ihr in die Quere kam, musste
weichen. Und wehe denn jemand hatte das Spielzeug ihrer Wahl. Da gab es kein Pardon – Rückeroberung stand dann an oberster Stelle. Ein wahres Powergirl!
Natürlich durchlebte Charlotte in ihrem kurzen Leben auch schwierige Zeiten. Oft haben wir uns um ihre Gesundheit gesorgt. Doch in Zeiten, in denen sie beispielsweise nicht viel essen mochte, stellte sich heraus, dass sie viel mehr im Griff hatte, als wir erahnen konnten. In manchen Situationen hätte sie uns gesagt:
Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Glaubt mir, ich pack das. Schliesslich habe ich euch – und Cranberries.
Charlotte hatte ein grosses Durchhaltevermögen in sich, welches sie auch oft durch ihre Epilepsieerkrankung durchtrug. Nicht zuletzt war der gemeinsame Fokus der Eltern und das erbrachte Engagement ihres Umfelds ein guter Nährboden dafür, dass Charlotte viele Hürden
überwinden konnte.
Wider Erwarten hat sie den Kampf um ihr Leben trotz ihrer Ausdauer und Zielstrebigkeit vorletzte Woche verloren. Das in einer Phase in der alles in Ordnung schien. Zum einen fragen wir uns: «Wieso jetzt? Es war doch alles gut. Sie war doch stark». Ja, das war sie in der Tat. Und zum anderen spendet es Trost, dass sie in der letzten Phase ihres Lebens ein paar wirklich wunderbare Monate, voller Lebensfreude und Zuversicht haben durfte.
Und in diesem Wissen erinnern wir uns gerne zurück, an diese Momente in denen alles gut war. Wie sie mit ihrem Lächeln auf der Wohngruppe ankam, sich für Streicheleinheiten unsere Hand ausgeborgt hat, oder mit ihrem intensiven Blick, ihren blauen Augen uns ein Strahlen entgegengebracht hat. So als wollte sie sagen: Ich bin glücklich – mir geht es gut.
Wir wollen die Zeit mit Charlotte nicht missen, die Rennausflüge mit ihrem Rollstuhl, ihr Lachen, ihr Weinen. Sie war ein fester Bestandteil unserer kleinen Wohngruppen-Familie und insofern bei allem an vorderster Front mit dabei. Im Bällebad, im Snoezelraum, auf den eigenen Beinen oder bei Spaziergängen im Rollstuhl und Badeausflügen. Ihre Anwesenheit wurde bei allen geschätzt, selbst als sie es als gute Idee empfand, die Farbeimer im Baumarkt nicht mehr im Regal lagern zu wollen und sie herunterriss.
So wie der etwas unkonventionelle Farbklecks auf dem Boden des Baumarktes, bleibt Charlotte als ein fröhlicher, ganz besonderer Farbklecks in unseren Leben zurück.
Insofern werden wir dich Charlotte in unserer Erinnerung behalten, als jemand, der Farbe in
unser Leben gebracht hat.
Deine Wohngruppe